S. Krewinkel: Nachbörse Teil 2 – Wie Derivatehändler die illiquiden Handelsfenster verstopfen
Was ist eigentlich diese Nachbörse hatte Stefan Krewinkel in seinem letzten Stammtisch gefragt. Im zweiten Teil der Diskussion geht es um die Rolle von Hedge Funds, Stillhalter als Trendverstärker und um die Frage warum so viele ehemalige NASA-Mitarbeiter an der Wall Street arbeiten.
(Foto: BankM AG; pixaby.com | FelixMittermeier)
Prost zusammen. Also, wie verstopfen Derivatehändler die Fenster in den illiquiden Vor- und Nachbörsen?
Mit dem erhöhten Interesse der Bevölkerung an Aktien durch den Börsengang der ‚Deutschen Telekom‘ und dem anschließenden Hype um die New Economy an Nasdaq und ‚Neuem Markt‘ sowie der Digitalisierung wurde das Angebot der längeren Handelsmöglichkeit auch von Privatanlegern nachgefragt. Zugleich erhielt der Derivatemarkt, auch durch das Interesse von Privatanlegern, in den letzten Jahren enormen Zuspruch.
Das sind dann aber eher Spekulanten als langfristig orientierte Anleger.
Nicht nur. Einige Fondsmanager erwerben Derivate, um den Indexanteil von Aktien nachzubilden, deren Marktkapitalisierung zu groß geworden ist. Das ist naturgemäß die Folge von positiven Kursbewegungen, aber einige Auflagen untersagen, zu hohe Indexgewichte über die reine Aktienanlage darzustellen. Über diesen Umweg können sie die Kursbewegungen dieser Aktien kopieren, weil Optionspreise steigen, wenn Aktienkurse steigen und fallen, wenn Aktienkurse fallen. Jeder kann sich nunmehr nach Lust und Laune sein individuelles Optionspaket anhand von Laufzeit, Basispreis und anderen Parametern zusammenstricken.
Naja, wenn der Markt für diese Vehikel so groß ist, wird das eher anspruchsvoll sein.
Durchaus. Andere nutzen Future-Verkäufe, um Bestände auf effiziente Art zu hedgen, das heißt abzusichern.
Kommt daher der Begriff “Hedge Fund”? Dann sollten die ja besonders sicher sein?
In der Theorie ja. Deren Manager arbeiten mit ausgetüftelten Strategien, die beeindruckend klingen, aber nicht immer aufgehen, weil die auch nach hinten losgehen können. Warren Buffet nannte den ganzen Gulasch einst ‚finanzielle Massenvernichtungswaffen‘, nutzt sie aber mittlerweile selber rege. Wir wollen uns nun einmal Optionen näher ansehen. Die Herren Black und Scholes haben für ihre ‚Erfindung‘ einer Formel für die Berechnung von Optionspreisen den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Das Ding besteht aus Brüchen, Klammern, Wurzeln und weiteren griechischen Buchstaben als die gleich erwähnten Delta und Gamma.
Also wat für Raketentechniker, die einen Marsflug berechnen können.
Genau, deswegen arbeiten auch viele ehemalige NASA-Mitarbeiter an der Wall Street. Wie dem auch sei, wenn es Käufer von Optionen gibt, gibt es logischerweise auch Verkäufer. Die nennt man Stillhalter, weil sie stillhalten müssen, bis der Optionskäufer sich entschieden hat. Deren Position ist, so wie Wasser nass und Gras grün ist, Gamma-short. Um ihre Position Delta-neutral zu hedgen, das heißt, Verluste zu vermeiden, sind sie bei Kursbewegungen ihrer Aktie Trendverstärker. In der Praxis besitzen sie bei fallenden Kursen zu viele Aktien, die sie trendverstärkend verkaufen, während sie bei steigenden Kursen nicht genug Aktien besitzen und diese trendverstärkend kaufen. Und zwar immer, zu jeder Handelszeit, auch außerbörslich.
Und das geht auf?
Mehr oder weniger, Verluste der Aktienposition stehen Gewinne der Optionsposition gegenüber. Je liquider der Markt ist, desto weniger müssen sie trendverstärkend anpassen, eben weil die Kurse sich weniger stark bewegen und sie weniger Anpassungsbedarf haben. Nun werden Unternehmensergebnisse in der Regel auf vor Börseneröffnung oder nach Börsenschluss terminiert und von Anlegern sehnlichst erwartet. Schon kleine Abweichungen von Analystenschätzungen sorgen oftmals unmittelbar im Anschluss für Kursbewegungen im außerbörslichen Handel, die durch Anpassung von Gamma-short-Positionen der Stillhalter verstärkt werden.
Und auf diesem höheren oder auch tieferen Level wird nun der Eröffnungskurs berechnet, der somit deutlich vom offiziellen Vortagesschlusskurs abweicht. Wobei diese Veränderung den Derivatehändlern vollkommen egal ist, da sie ihre Hedge-Position schon außerbörslich minutiös angepasst hatten, und zwar schmerzfrei. Und wenn der Kurs dreht, drehen die sich auch und spielen wieder Booster, dann in die andere Richtung?
Ja. Jeder Stillhalter ist ein Turbo, in beide Richtungen. Auch die von Zertifikaten auf Währungen, Rohstoffen und Indizes, wo es keine Vor- und Nachbörsen gibt. Die schauen, wie ihre griechischen Buchstaben blinken und handeln strikt nach Formel. Nur, ist es gesund, wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt?
Nicht mein Problem. Wir sind Bier short, das ist nicht gesund. Wie wär‘s mit einer neuen Runde?
„I am calling from Omega Beta Zeta House.“
Neulich war es Kevin Costner in „Yellowstone“
… und wer ruft hier an?